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Nimmt der Paradigmenwechsel bei der Eliteförderung Gestalt an? – Experten und Verbandsvertreter begrüßen Bund-Länder-Initiative

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BERLIN. 125 Millionen Euro soll das Programm umfassen, mit dem Bund und Länder die Förderung hochbegabter Kinder an den Schulen verbessern wollen. Schon vor der offiziellen Vorstellung am Montag äußern Befürworter einer stärkeren Hochbegabtenförderung wie TIMMS-Leiter Wilfried Bos ihre Zustimmung.

Eigentlich geht es nur um jeden 50. Schüler. Bezogen auf die gut 720 000 Erstklässler dieses Jahres gilt beispielsweise lediglich eine niedrige fünfstellige Zahl als hochbegabt (IQ 130 plus x). Und doch steckt viel mehr dahinter. Nämlich die Frage, ob das deutsche Schulsystem gut genug mit seiner Leistungsspitze umgeht. Ob die 16 Länder nicht nur Problemschüler auf ein höheres Level führen, sondern auch Überflieger angemessen fördern können.

Zwei Schüler vor einem Poster

Für die «Initiative zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler» nehmen Bund und Länder viel Geld in die Hand. Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

Dafür wird nun – nach vielen Absichtserklärungen – eine Menge Geld in die Hand genommen. 125 Millionen Euro für zehn Jahre wollen sich Bund und Länder ihre «Initiative zur Förderung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler» kosten lassen. An diesem Montag stellen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Bremens Senatorin Claudia Bogedan (SPD), Grundzüge ihres Eliteprojekts vor. Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an.

«Elite» – dieses Wort besitzt für viele im Zusammenhang mit Bildung einen negativen Beigeschmack. «Wir haben ein Problem – in Wort und Tat – mit der Eliteförderung. Damit tun wir uns sehr schwer», bedauert der renommierte Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos. Er betreut an der Technischen Universität Dortmund die internationale TIMSS-Studie, deren aktuelle Ergebnisse für Viertklässler in Mathematik und Naturwissenschaften an diesem Dienstag vorgelegt werden.

Das zeitliche Zusammentreffen von Hochbegabten-Initiative und neuen TIMSS-Ergebnissen ist Zufall, passt aber in die bildungspolitische Landschaft. Denn die TIMSS-Tests hatten sowohl 2007 als auch 2011 nachgewiesen, dass es hierzulande im internationalen Vergleich kaum Spitzenschüler gibt. Ein solides Leistungsmittelfeld immerhin, aber mit fünf bis sieben Prozent «zu wenige Schüler im obersten Leistungsbereich», sagt Bos. Echte Begabtenförderung sei leider bisher immer Ankündigung geblieben. «Wir versündigen uns damit an diesen Kindern, wir schöpfen ihre Potenziale nicht aus.»

Auch der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht das gut dotierte Hochbegabten-Projekt von Bund und Ländern als großen Fortschritt. «Man hat sich bisher, teilweise mit guten Gründen, auf die Gruppe der Leistungsschwächeren konzentriert», sagt er. «Obwohl ja bereits alle Studien gezeigt hatten, dass Deutschland ein Problem in der unteren Kompetenzstufe hat, aber eben auch in den höheren Stufen.»

Der geplante Förderbetrag von über 100 Millionen für rund 300 Modellschulen – «das ist schon etwas», lobt Meidinger. Er plädiert dafür, neben MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und den Sprachen auch Musik, Kunst, Sport und Gesellschaftswissenschaften in die Begabtenförderung einzubeziehen. Der Chef der Bildungsgewerkschaft warnt zudem davor, sich auf reine Hochbegabtenklassen und Eliteschulen zu konzentrieren. «Deren Effekt wird überschätzt. Kompetenzgewinne sind meist relativ unabhängig davon, ob ein Hochbegabter in einer speziellen Hochbegabtenklasse sitzt oder in einem ganz normalen Unterricht.» Letztlich komme es auf die individuelle Zuwendung durch Lehrer und Schule an.

Meidinger verweist auf die Langzeitstudie PULSS (Projekt für die Untersuchung des Lernens in der Sekundarstufe), die den Wert einer isolierten Hochbegabtenförderung kürzlich relativiert hatte. Die SPD-Kultusminister um Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe fühlten sich dadurch in ihrem integrativen Ansatz bestätigt. «Begabtenförderung muss zur Regelaufgabe in jeder Schule und in jeder einzelnen Klasse werden», sagte Rabe. Gesonderte Klassen «bergen die Gefahr, dass die Begabtenförderung in den Regelklassen unterbleibt».

Unionsgeführte Kultusministerien sehen das teilweise anders. Ohnehin wähnen sich CDU und CSU als die eigentlichen Entdecker und Verfechter von Eliteförderung an den Schulen. Immerhin: Im Juni 2015 beschloss die KMK eine gemeinsame Strategie, um sich mit Verve um besonders leistungsstarke Schüler zu kümmern. Bei der Präsentation der 125-Millionen-Euro-Initiative am Montag werden neben Wanka (Bund) und Bogedan (KMK) denn auch SPD-Mann Rabe und Bayerns langjähriger CSU-Bildungsminister Ludwig Spaenle auf dem Podium sitzen – diesen Erfolg will sich keiner entgehen lassen. Dann sollte auch bald klar werden, wie es konkret für die «kleinen Einsteins» weitergeht. (Werner Herpell, dpa)

• zum Bericht: Schulen erproben Talentsuche – Bund und Ländern geben 125 Millionen Euro für die Hochbegabtenförderung aus
• zum Bericht: Begabtenförderung – KMK auf der Suche nach dem großen Wurf


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