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Wurden Merkel und die Ministerpräsidenten vor ihrem Beschluss, die Kitas und Schulen offenzuhalten, bewusst getäuscht?

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BERLIN. Der Beschluss des Bund-Länder-Gipfels vom 25. November 2020, den Schulbetrieb – entgegen dem ursprünglichen Wunsch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – ohne Einschränkungen weiter laufen zu lassen, ist offenbar auf der Grundlage bewusst unvollständiger, womöglich sogar gefälschter Informationen getroffen worden. Dies legen Aussagen von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der Sendung „Markus Lanz“ vom 26. November nahe, in denen Weil als eine wesentliche Grundlage des Beschlusses eine nur wenige Tage zuvor veranstaltete Pressekonferenz von Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) anführt. Mittlerweile ist bekannt, dass Rabe eine Studie, die die Infektionsgefahr in Schulen aufzeigt, vor dem Gipfel verschwiegen hat. Hat er womöglich sogar die angeblichen Erkenntnisse, die er auf der Pressekonferenz präsentierte, erfunden?

Die Bundeskanzlerin hatte versucht, die Ministerpräsidenten zu Einschränkungen im Schulbetrieb zu bewegen – vergeblich (Archivfoto vom April). Foto: Vasilis Asvestas / Shutterstock

„Unisono waren wir der Auffassung: Schule ist sehr sehr unauffällig im Infektionsbereich“, so sagte Weil – wie Recherchen von News4teachers nach einem Leserhinweis ergaben – in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 26. November, in der es um die einen Tag zuvor getroffenen Entscheidungen des Gipfels der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin ging.

Merkel hatte im Vorfeld darauf gedrängt, dass die Länder die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts einhalten und den Schulbetrieb auf Wechselunterricht umstellen. Die Ministerpräsidenten lehnten das dann ab. Weil begründete die Entscheidung ausdrücklich mit „dem Beispiel Hamburg“, wo „sehr klar wissenschaftlich erfasst“ worden sei, dass sich Schüler, wenn überhaupt, vor allem außerhalb der Schule infizierten. „Schule ist der sicherere Ort für viele junge Leute im Vergleich zu dem, was dann außerhalb der Schule stattfindet“, erklärte Weil.

Eine fast identische Formulierung hatte Rabe auf einer Pressekonferenz nur wenige Tage zuvor, am 19. November, gebraucht. „Die Infektionsgefahr ist in den Schulen erheblich geringer als in der Freizeit“, so behauptete er – und präsentierte angebliche Daten der Hamburger Bildungsbehörde, denen zufolge  sich in den acht Wochen zwischen den Sommer- und Herbstferien 372 Mädchen und Jungen infiziert hätten. „Von ihnen haben 292 sich vermutlich gar nicht in der Schule infiziert“, meinte Rabe dazu. Das habe die genaue Prüfung eines jeden Falles ergeben. Wissenschaftler waren (anders als Weils Statement nahelegt) nicht in die Erhebung einbezogen.

Das Ergebnis einer neuen Studie auf der Grundlage der Hamburger Schuldaten wurde offenbar vorab vorgegeben

Die KMK werde „eine neue externe Studie beauftragen, die auf Basis der Hamburger Schuldaten belegen soll, dass Schulen vergleichsweise sicher und eben keine Treiber der Pandemie sind und daher auch weiterhin am Präsenzunterricht festgehalten werden soll“, heißt es wörtlich in einer Mitteilung an Journalisten zur Präsentation der Daten. Eine Formulierung, die nahelegt, dass das Ergebnis schon vor Studienbeginn feststehen sollte.

News4teachers war skeptisch – und hakte nach: Wie konnten die Infektionsketten zu den Schülern denn so präzise nachvollzogen werden? Eine konkrete Auskunft von der Pressestelle gab es (und gibt es) dazu nicht (zum damaligen Bericht geht es hier). Auch aus der Wissenschaft werden mittlerweile Zweifel laut. Der österreichische Mikrobiologe Prof. Michael Wagner von der Universität Wien, der eine groß angelegte „Schul-Sars-CoV-2-Monitoringstudie“ in Österreich leitet, erklärte gegenüber der ARD-Sendung „Panorama“ zu Rabes Thesen: „Eine Aussage kann ich nur machen, wenn ich zumindest die ganze Klasse von den infizierten Schülern getestet habe, und zwar nicht nur einmal.“ Solche Reihentests waren aber offenbar nicht die Grundlage der von Rabe vorgetragenen Zahlen. Bis heute liegt keine wissenschaftliche Begutachtung der Hamburger Daten vor.

Studienergebnisse lagen der Bildungsbehörde nach eigenen Angaben am 24. November vor – einen Tag vor dem Gipfel

Bekannt ist allerdings mittlerweile, dass der Hamburger Bildungsbehörde (laut Eingeständnis ihrer Pressestelle) seit dem 24. November „die endgültigen Ergebnisse“ einer Studie vorliegen, in der zweifelsfrei ein Corona-Ausbruch an einer Hamburger Schule ausgehend von einem einzigen Infizierten dokumentiert wird – ein sogenanntes Superspreader-Event, das es nach Rabes These gar nicht geben dürfte. Ob Rabe bereits bei seiner Pressekonferenz von der brisanten Studie und möglichen Vorab-Ergebnissen wusste, ist unklar. Die Untersuchung war von der Hamburger Gesundheitsbehörde in Auftrag gegeben und nach Angaben der Autoren bereits Anfang Oktober abgeschlossen worden. Warum sie die Bildungsbehörde erst sechs bis sieben Wochen später „endgültig“ erreicht haben soll, wie die Pressestelle behauptet, ist ebenfalls offen.

Klar aber ist: Rabe, als Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien auch bundesweit ein Mann mit großem Einfluss, hatte (mindestens) einen Tag Zeit, die Ministerpräsidenten vor dem Gipfel über die Studienergebnisse zu informieren. Das ist augenscheinlich nicht geschehen. Die Existenz der Untersuchung sickerte ohnehin erst in der vorvergangenen Woche durch. Sie ist bis heute nicht vollständig veröffentlicht. Der Verdacht steht im Raum, dass Rabe die Studie vertuschen wollte (News4teachers berichtet ausführlich gegen den Verdacht gegen Rabe, der hohe Wellen schlägt – hier nachzulesen). Noch am 9. Dezember trat der Hamburger Bildungssenator vor einem Millionenpublikum in der Sendung „Markus Lanz“ auf. Dort behauptete er einmal mehr: Nur eine von fünf Ansteckungen sei ursächlich in der Schule entstanden, 80 Prozent seien aus dem Freizeitbereich der Kinder gekommen. Zu der Studie, die er zu diesem Zeitpunkt ja nachweislich kannte – kein Wort.

Rabe begrüßte den Gipfel-Beschluss: „Die Vereinbarungen bestätigen die Hamburger Schulpolitik“

Die Ministerpräsidenten beschlossen auf ihrer Video-Konferenz am 25. November: „Das Offenhalten von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen hat höchste Bedeutung. Kinderbetreuungseinrichtungen (Kitas, Kinderkrippen, Kindergärten, Kindertagespflege, Horte etc.) und Schulen bleiben geöffnet.“ Umgehend nach dem Gipfel gab Rabe eine Pressemitteilung heraus, in der er die „Einigung der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin zur Schulpolitik“ begrüßt. Wörtlich: „Die Vereinbarungen bestätigen die Hamburger Schulpolitik.“

Das Robert-Koch-Institut bestätigt unterdessen die Superspreader-Studie, zumindest indirekt. Wurden Ende November in den täglichen Lageberichten Schulen noch nicht ausdrücklich als Orte verstärkten Ausbruchsgeschehens benannt, so ist das mittlerweile anders. Das RKI schreibt von  „zahlreichen Häufungen“. Am kommenden Dienstag, 5. Januar, steht die nächste Ministerpräsidenten-Konferenz an, auf der über mögliche Schulöffnungen nach dem 10. Januar entschieden werden soll. News4teachers

Hier – in der Mediathek des ZDF – lassen sich die Aussagen Weils nachvollziehen (etwa um Minute 44 herum).

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